In der Katholischen Presseagentur Österrreich kathpress wurde am 7.1.2023 folgender Artikel veröffentlicht.
Melkitisch-katholischer Priester Hanna Ghoneim über Lage in Syrien: „Immer mehr Kinder müssen im Müll nach Verwertbarem und Essbarem suchen“ – Durchschnittliches Gehalt in Syrien nur mehr bei 15 Euro – Ghoneim versucht mit seinem Hilfswerk „Korbgemeinschaft“ die Not zu lindern
Wien/Damaskus, 07.01.2023 (KAP) Das Leid und die Ausbeutung von Kindern hat in Syrien ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Das berichtet der Wiener melkitisch-katholische Priester Hanna Ghoneim in einem aktuellen Rundschreiben. Er leitet das Hilfswerk „Korbgemeinschaft“, das in Syrien tätig ist. Fast die gesamte Bevölkerung würde unter den dramatischen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen im Land leiden, besonders aber die Kinder. Ghoneim: „Immer mehr Kinder müssen im Müll nach Verwertbarem und Essbarem suchen. Das sind Bilder, die mich innerlich sehr schmerzen. Hier frage ich mich: Wo sind hier die Menschenrechte, wo das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein für diese Kinder?“
Auch das syrische Bildungswesen liege im Argen. Ghoneim: „Die Bedingungen für den Schulunterricht sind denkbar schlecht, vor allem in den staatlichen Schulen. Es ist finster, derzeit kalt, die hygienischen Einrichtungen sind desolat, es gibt wenig Personal, wenige PädagogInnen, kaum geeignetes Lehr- und Schreibmaterial.“ Auch die öffentlichen Verkehrsmittel würden immer teurer und funktionierten nur sporadisch. „Deswegen gibt es jetzt in der Woche auch drei freie Tage.“ Die Beiträge in den Privatschulen würden ebenfalls ständig angehoben.
Die Inflation sei dramatisch. Im September habe der Wechselkurs für einen Euro bei 4.300 Syrische Pfund (SYP) gelegen, inzwischen seien es 6.400. Ein durchschnittliches Monatsgehalt betrage aber immer noch unverändert 100.000 SYP, was nur mehr gut 15 Euro entspricht. Ein Liter Benzin koste auf dem Schwarzmarkt 15.000 SYP (rund 2,5 Euro). Die extrem hohen Energiepreise würden immens die Mobilität und jede Geschäftstätigkeit erschweren. Ein Student brauche beispielsweise im Monat mindestens 500.000 SYP, ein Schüler 200.000 SYP alleine für die Fahrten zu den Bildungseinrichtungen und für ein wenig Essen im Bildungsinstitut. Auch die Qualität der Studien werde immer schlechter.
Keine Medikamente und kein Strom
Besonders schlimm sei es auch um das Gesundheitswesen bestellt, so der Geistliche. Eine ärztliche Behandlung sei für die meisten Menschen nicht mehr finanzierbar. Bei Patienten mit schweren Erkrankungen wie Krebs müssten dann die Familien oft ihr ganzes Hab und Gut verkaufen, um eine Behandlung zu ermöglichen, wenn dies überhaupt noch gelinge. Viele Medikamente seien in Syrien nicht mehr vorhanden bzw. nur mehr auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Ghoneim: „Jede Woche bekomme ich Anfragen für mögliche Hilfeleistungen für Krebskranke. Die erbetenen Summen sind astronomisch. Eine Ampulle kostet bisweilen bis umgerechnet 3.000 Euro.“
Der Strom falle schon seit Jahren oft ganztägig aus. Vor allem auf dem Lande sei die Stromversorgung sehr bedrückend. In den Städten komme der Strom maximal alle sechs Stunden für einige Zeit, im Winter aber nicht einmal mehr das. Ghoneim: „Wie kann heutzutage ein Haushalt ohne Stromversorgung funktionieren? Wie können kleine Betriebe und Produktionen ohne Strom aufrechterhalten bleiben?! Viele Betriebe werden eingestellt, weil es sich nicht mehr rentiert, zu investieren. Das bedeutet natürlich hohe Arbeitslosigkeit und drängt die Menschen zur Abwanderung.“ Die Menschen seien frustriert, so der melkitische Geistliche: „Seit Jahren sieht man keine Verbesserung im Wirtschaftsleben und der Krieg in der Ukraine macht die Aussichten noch viel düsterer. Daher kommt die Verzweiflung.“
Vom Gehalt in einer öffentlichen Anstellung könne man nur zwei oder drei Tage leben. Nur wer es schafft, zusätzlich privat einer Arbeit nachzugehen, komme irgendwie über die Runden. Oder man habe Verwandte oder Freunde im Ausland, von denen man Unterstützung erhält. „Das ist auch der Grund, warum viele Jugendliche um jeden Preis auswandern wollen“, so Ghoneim. Die dramatische Krise sei zudem auch der optimale Nährboden für Korruption, Kriminalität und den Schwarzmarkt.
„Korbgemeinschaft – Hilfe für Syrien“
Die kirchliche Stiftung „Korbgemeinschaft – Hilfe für Syrien“ ist in Damaskus, im Hauran-Gebirge, in Homs und in Aleppo tätig. Die Hilfe kommt der christlichen Minderheit, aber auch vielen Muslimen zugute. Partner der „Korbgemeinschaft“ vor Ort sind kirchliche Einrichtungen wie auch einzelne Priester, die von der Gemeinschaft bei ihrer seelsorglichen und sozialen Hilfe unterstützt werden. Beispielsweise wird Binnenflüchtlingen bei der Begleichung von Mieten und Energiekosten geholfen, Bekleidung für Bedürftige organisiert oder ärztliche Versorgung vermittelt. Protektor der „Stiftung Korbgemeinschaft“ ist der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn.
Die „Korbgemeinschaft“ hat nahe bei Damaskus eine Großbäckerei errichtet, in der für bedürftige Menschen günstiges und zugleich hochwertiges Brot hergestellt wird. Jeden Tag würden ungefähr 1.800 kg Brot gebacken, berichtete Ghoneim in seinem aktuellen Schreiben. Ein Kilo Brot werde für 200 SYP (ca. drei Cent) verkauft. Die Produktionskosten für ein Kilo würden aber bei ca. 20 Cent liegen, was vor allem auch an den hohen Energiekosten liege. Zwölf Personen würden in der Bäckerei beschäftigt, so Ghoneim: „Schön wäre es, wenn wir am Tag mehr produzieren könnten. Da es nicht genug Mehl in Syrien gibt, erhält unsere Bäckerei aber vom Staat täglich nur 1,5 Tonnen Mehl.“ Die Bäckerei werde von vielen Spenderinnen und Spendern finanziert. Es gehe in der aktuellen Situation nicht darum, mit der Bäckerei ein Geschäft zu machen, sondern um einen christlichen Dienst an den Armen, so Ghoneim.